Der Zug ist abgefahren – Ridley Scott verfilmt “The Taking of Pelham 1 2 3” ein zweites Mal

John Travolta in "Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3"

In infernalischen Tiefen, wo kein Sonnenstrahl hindringt, kommt das Schlimmste im Fahrgast zum Ausbruch. Stöckelschuhe, Kinderwagen, Spazierstöcke – alles wird zur Waffe im Kampf um einen Sitzplatz. Beim Drängeln in überfüllte Wagons gilt das Gesetz des Stärkeren. Nie ist man so hässlich wie kurz vor Arbeitsbeginn im fahlen Neonlicht des Abteils. Im New York der 70er war das U-Bahnnetz marode. Jeder stand in der stickigen Enge kurz vorm Ausrasten. Wo sonst ließe sich besser eine Thrillerhandlung platzieren? Ein Jahr nach Erscheinen John Godeys gleichnamigen Krimis kam “The Taking of Pelham 1 2 3” 1974 als erfolgreicher Actionfilm in die Kinos. Gemütlicher geworden ist die New Yorker U-Bahn seitdem kaum. Zeit, dass jemand lautstark darauf hinweist, dachte sich Regisseur Tony Scott und sprang auf den bewährten Zug der Neuverfilmungen auf. “Hättest du das erwartet, als du heute morgen deine Socken angezogen hast?”, fragt der Kriminelle mit dem passenden Namen Ryder (John Travolta) den Bahnangestellten Garber (Denzel Washington). Natürlich nicht, soll sich der Zuschauer denken und zitternd der nächsten U-Bahnfahrt entgegen sehen. Wenn da jetzt einer plötzlich einen ganzen Wagen mit Waffengewalt in Geiselhaft nimmt, einer der Entführer (Luis Guzman) noch Ex-Schaffner ist und die Geiselnehmer drohen, alle zu erschießen, wenn nicht innerhalb einer Stunde zehn Millionen vom Bürgermeister (James Gandolfini) gezahlt werden? Dann doch lieber den Bus nehmen. Wobei – wie war das damals in “Speed”?

Im Original war “The Taking of Pelham 1 2 3” ein psychologisches Duell zwischen Entführer und Polizist. In Scotts Neufassung liegen beide von Anfang an auf einer Wellenlänge. Trotzig knallt der speckige Travolta, der selten weiter von dem schneidigen Tänzer aus “Saturday Night Fever” entfernt war, einen Zugführer ab, als Polizeileutnant Camonetti (John Turturro) Garber am Funkgerät ersetzen will. Höhere Beamte kommen schlecht weg in Scotts “The Taking of Pelham 1 2 3”. Dementsprechend schrumpfte Garber vom Polizisten im Original “The Taking of Pelham 1 2 3” zum Schalterarbeiter. Der Bürgermeister ist ein schmieriger Anzugträger mit aalglattem Assistenten, die Polizeieskorte fährt ihre Motorräder zu Schrott und der Geldtransporter baut einen Unfall. “Scheißstadt”, schimpft ein im Stau steckender Taxifahrer über das Film-New York. Auf keine höhere Instanz ist Verlass. Einfache Arbeiter und ihr Massentransportmittel sind das einzig solide. Sogar Garber und der Bürgermeister nehmen lieber den Zug als die Limousine. Klaustrophobische Spannung in “The Taking of Pelham 1 2 3” erzeugt Brian Helgelands Drehbuch nicht. Alle entpuppen sich als nette Kerle – Frauen treten nur als übergewichtige Bahnangestellte und quasselnde Internetbekanntschaft auf. Mal ehrlich, würde man sich für einen der drängelnden, müffelnden, meckernden Mitfahrgäste von Geiselnehmern abknallen lassen? Oder eher rufen: “Den da auch noch, der schubst immer!“? Das Handlungspotential der zusammengewürfelte Gruppe Fahrgäste lässt “The Taking of Pelham 1 2 3” gänzlich außer Acht. Der verbitterte Ryder erklärt Garber gleich zweimal zu seinem Helden, damit es selbst der Dümmste begreift, Garber ließ sich nur für seine Kinder bestechen und sogar der Bürgermeister ist ganz in Ordnung.

Tiefgang besitzt in dem passablen Thriller lediglich die U-Bahn. Mit seiner überflüssigen Neuverfilmung erweist sich Regisseur Tony Scott cineastisch als das, was er biologisch ist: der kleine Bruder vom fähigeren Ridley Scott. Der klassische “The Taking of Pelham 1 2 3” vereinte zwei äußerst populäre Genres der Siebziger miteinander: Actionthriller und Katastrophenfilm. Gegenüber dem Nervenkitzel des Originals bleibt Scotts “The Taking of Pelham 1 2 3” auf der Strecke. So fragt man sich, ob “The Taking of Pelham 1 2 3” für mehr Katastrophenfilme Grünes Licht signalisiert. Die Neuauflagen von “Flammendes Inferno”, “Erdbeben”, “Cassandra Crossing”  warten schon auf dem Abstellgleis.

* * *

Originaltitel: The Taking of Pelham 1 2 3

Deutscher Titel: Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3

Genre: Action

Land/Jahr: USA 2009

Start: 13. August 2009

Regie: Tony Scott

Drehbuch: Brian Helgeland

Darsteller: Denzel Washington, John Travolte, John Turturro, James Gandolfini, Luis Guzman

Verleih: Sony Pictures

Laufzeit: 106 Minuten

Internet: www.pelham123.de

Vorheriger ArtikelAuf den Spuren von Heinrich VIII. – 500 Jahre nach der Thronbesteigung erinnern in und um London Ausstellungen an den Monarchen
Nächster ArtikelOhne Sprengkraft – Kathryn Bigelow inszeniert den Irakkrieg als Actionthriller in “Tödliches Kommando – The Hurt Locker”